Die Kinder hatten die alte Mutter in einem verlassenen Dorf verschwinden lassen, doch als sie zurückkehrten, um das Erbe anzutreten …
Es war still im Inneren.
Nicht die übliche, staubige Stille, die ein verlassenes Haus birgt, sondern eine dichte, greifbare, fast lebendige Stille. Die Art von Stille, die einem schon beim Erreichen der Tür ein beklemmendes Gefühl in der Brust verursacht.
„Hier stimmt etwas nicht“, flüsterte Kata, die Älteste, während sie den rostigen Schlüssel aus der rostigen Blechdose zog, die ihre Mutter immer an derselben Stelle unter der Schwelle versteckt hatte. Sie lag jetzt dort, genau wie sie gesagt hatte.
Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Die Tür quietschte auf, und die drei Geschwister – Kata, Dani und Zsófi – schienen augenblicklich in eine andere Welt gezogen zu werden.
Die Hütte war sauber. Aufgeräumt, blitzblank aufgeräumt. Auf dem Tisch, auf einer abgenutzten Tischdecke, stand eine Vase. Es lagen getrocknete Blumen darin, aber sie waren so elegant arrangiert, als hätte sie jemand erst gestern vom Feld geholt.
„Wer war hier?“, fragte Dani leise und sah sich um.
„Vielleicht … die Nachbarn?“, versuchte Zsófi, die Jüngste, doch ihre Stimme verstummte mitten im Satz. Niemand hatte seit Langem mehr in dem Dorf gewohnt. Weder Nachbarn noch Durchreisende.
An der Wand hing ein gerahmtes Foto – die drei Geschwister als Kinder. Staubfrei, sauber. Darunter lag ein kleines Notizbuch.
Kata ging hinüber, nahm es und begann laut vorzulesen:
„Tag 3452 ohne dich. Ich habe gelernt, Brot zu backen aus dem, was ich im Wald finde. Die Wölfe kommen nachts, aber ich habe keine Angst mehr. Ich habe geträumt, dass du nach Hause gekommen bist. Du bist wunderschön geworden.“
Am unteren Rand der Seite war ein lächelndes Gesicht gezeichnet, kindlich einfach.
Kata legte das Notizbuch auf den Tisch. Ihre Hände zitterten.
– Das ist seine Handschrift … aber er ist … tot, oder?
Dani nickte stumm und öffnete die Tür zum Hinterzimmer. Es war die Lieblingsecke ihrer Mutter, wo sie immer schlief.
Das Zimmer wirkte wie eine in der Zeit eingefrorene Erinnerung.
Das Bett war sorgfältig gemacht. Auf dem Nachttisch stand eine Tasse mit verhärtetem, getrocknetem Tee. Daneben stand ein aufgeschlagenes Buch, mitten aufgeschlagen.
Doch was am herzzerreißendsten war: Eine Gestalt saß im Sessel. Eine zerbrechliche Silhouette, eingehüllt in einen alten, geblümten Schal.
– Oh mein Gott … – flüsterte Dani.
Der Körper rührte sich nicht. Das Haar war schneeweiß und zu einem langen Zopf geflochten. Die Hände glichen trockenen Zweigen. In ihrem Schoß lag ein zart besticktes Taschentuch – mit den Namen ihrer Kinder darauf: Katja, Dani, Zsófi.
„Das kann nicht wahr sein …“, murmelte Zsófi. „Ist das … er?“
Katya trat näher. Sie berührte die Hand. Sie war kalt.
Ihre Knie gaben nach. Es war wahr. Die Schuld, die in ihren Körpern gefroren war, brach nun hervor und ergoss sich lautlos über sie.
Und dann … wurde die totenstille von einem leisen Rascheln unterbrochen. Irgendwo in der Ecke.
„Was war das?“, fragte Dani und setzte sich auf.

Eine Schublade. Sie öffnete sich von selbst, als ob jemand, etwas … sie rief.
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[ ] Dani trat hinüber. In der Schublade lag ein gelber Umschlag. Darauf stand: „Wenn du jemals den Mut hast, zurückzukommen …“
„Mach ihn auf“, sagte Katya heiser und stand langsam vom Sessel auf. – Sieh, was drin ist.
Dani öffnete vorsichtig den Umschlag. Die Papiere darin waren alt, vergilbt, vom Zahn der Zeit gezeichnet, aber die Tinte leuchtete noch immer hell darauf.
Ein paar alte Geldscheine fielen heraus.
Zsófi blinzelte verwirrt.
– Geld? Wie ist das denn hierhergekommen? Er … er hat doch immer gesagt, er hätte nichts.
Dani las den beiliegenden Brief:
„Ich vergebe dir. Aber ich werde dich nicht vergessen. Und du solltest es auch nicht vergessen. Jede Minute hier hat wehgetan. Aber jede Minute gehörte mir. Ich habe dich mehr geliebt als mich selbst.“
Nach diesen Zeilen folgte eine lange, unangenehme Stille. Die Luft im Haus schien plötzlich leichter. Sanftes Sonnenlicht fiel durchs Fenster und zeichnete Muster auf den Boden.
Zsófi sank in einen kleinen Stuhl und vergrub das Gesicht in den Händen.
– Warum bin ich nicht früher gekommen? Warum habe ich das … plötzlich gedacht?
– Weil du Angst hattest – sagte Kata leise. – Wir hatten alle Angst. Manchmal lähmt die Schuld mehr als der Schmerz.
Dani ging zum Tisch und nahm das Notizbuch, aus dem Kata vorhin gelesen hatte.
– Da ist noch ein Eintrag… schau nur:
„Tag 3461. Heute habe ich gebetet. Nicht für mich. Für sie. Damit es ihnen gut geht. Damit sie mich nicht ganz vergessen.“ (Tag 3461. Heute habe ich gebetet. Nicht für mich. Ich verstehe. Damit es ihnen gut geht. Damit sie mich nicht ganz vergessen.)
– Er hat das geschrieben… während wir unser Leben lebten. Im Ausland, Arbeit, Kinder, Kredite… und er saß hier, allein – sagte Kata mit immer stärker unterdrücktem Schmerz in der Stimme.
– Ich erinnere mich noch an das letzte Mal, als er mich ansah – flüsterte Zsófi. – Nicht wütend. Nicht enttäuscht. Nur… traurig. Als ob er wüsste, dass wir nicht rechtzeitig zurückkommen würden.
Alle drei schwiegen lange. Der Raum atmete leise mit ihnen. Dann sprach Dani:
– Wir müssen ihn begraben. Mit Würde. Nicht in einem unbekannten Grab. Nicht im Stich gelassen. Am Ende des Gartens, wo er seine Rosen gepflanzt hatte. Dort liebte er es, den Sonnenuntergang zu beobachten.
Kata nickte.
– Und lass uns hier übernachten. Ich denke … das sind wir ihm schuldig.
Sie schliefen in dieser Nacht kaum. Das alte Haus knarrte und seufzte, als wollte es sprechen. Die drei Geschwister saßen nebeneinander vor dem Kamin, der wieder zum Leben erwacht war, nachdem Dani ihn mit trockenem Holz nachgelegt hatte.
„Weißt du noch, als wir Kinder waren und Mama uns hier jeden Abend Geschichten erzählt hat?“, fragte Zsófi leise.
„Die Geschichte von den drei Monden“, lachte Kata leise. „Die habe ich mir immer gewünscht.“
„Und sie sagte immer: ‚Vergesst nicht, Kinder, nach der Dunkelheit kommt das Licht.‘“
Dani seufzte und sagte dann leise und nachdenklich:
„Vielleicht … ist dieses Licht jetzt gekommen.“
Der Tag der Beerdigung brach an einem hellen Morgen an. Das Dorf beobachtete weiterhin schweigend das Geschehene – die verlassenen Häuser, die eingestürzte Scheune, den rissigen Brunnen. Nur die Vögel zwitscherten, als wüssten sie, dass jemand endlich heimgekehrt war – für immer.
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Die Geschwister gruben das Grab am Ende des Gartens selbst. Es war klein, aber gerade deshalb so intim. Kata breitete eine alte Decke aus, Zsófi legte das Taschentuch daneben und Dani das kleine Notizbuch.
Die einzige Inschrift auf dem Grabstein lautete:
„Anna, Mutter, die immer auf ihre Heimkehr wartete.“
Nach der Beerdigung saßen die drei stundenlang schweigend, aber nicht kalt, am Fuße der Rosensträucher, wo Tante Anna ihre letzten Tage verbracht hatte. Die Stille war nun kein Feind mehr. Sie war eher Schutz als eine weiche Decke, die ihre Mutter ihnen ein letztes Mal hinterlassen hatte.
„Wie seltsam“, sagte Dani leise. „Ich dachte, wenn ich zurückkomme, würde ich nur spüren, dass es zu spät ist. Aber jetzt … ist es, als wären wir endlich bei ihr angekommen. Nur auf eine andere Art.“
„Vielleicht, weil“, erwiderte Kata, „wir endlich nicht mehr an uns denken, sondern an sie.“
Zsófi zupfte ein Rosenblatt ab und legte es auf das frische Grab.
– Das Schlimmste ist, dass … ich nie wirklich ganz gegangen wäre. Ich habe es immer aufgeschoben. Ich sagte immer: später, wenn ich Zeit habe, später im Urlaub, später, wenn die Kinder älter sind. Aber es gab kein später mehr. Plötzlich war alles vorbei.
– Aber er hat später nicht „Ich liebe dich“ gesagt, bemerkte Dani. – Er liebte. Durch und durch. Selbst in seiner Einsamkeit.
Kata blickte zum Haus, dessen dunkle Fenster nun etwas Licht zu haben schienen. Kein physisches Licht – eher ein Gefühl, dass dort kein Zorn mehr war. Nur noch Erinnerung. Und Liebe.
– Lass uns das Büchlein mit nach Hause nehmen, sagte sie. – Unsere Kinder sollten es auch lesen. Damit sie wissen, wie das Herz einer Mutter ist. Und damit sie verstehen, was es bedeutet, wirklich für jemanden da zu sein, solange man es kann.
– Und das Haus?, fragte Zsófi leise. – Sollen wir es wieder schließen? Sollen wir es wieder verstauben lassen?
Dani lächelte.
– Nein. Wir werden von nun an kommen. Nicht wegen des Geldes, nicht wegen der Erbschaft. Sondern wegen dem, was sie uns hier hinterlassen hat: die sanfte, stille Zuwendung, die uns immer umgab, selbst als wir nicht mehr da waren.
Kata nickte.
– Wir kommen jedes Jahr an ihrem Geburtstag. Wir bringen Blumen. Wir lesen unseren Kindern aus ihrem Büchlein vor. Und vielleicht geben sie es eines Tages auch weiter.
Die Sonne ging unter, der Himmel über dem Dorf leuchtete golden. Die Blätter der Bäume raschelten leise unter den Schritten der drei Geschwister, als sie zum Haus zurückgingen.
Drinnen herrschte wieder Ordnung. Das kleine Nest, das ihre Mutter so sehr geliebt hatte. Sie berührten nichts, sie sahen sich nur um. Kata blieb einen Moment an der Wand stehen, an der das Kinderfoto hing.
– Schau – flüsterte sie. – Darunter liegt ein neuer Zettel!
Auch Dani und Zsófi traten vor.
Es war ein kleiner, sorgfältig gefalteter Zettel mit der vertrauten Handschrift:
„Wenn du jemals zurückkommst und denkst, es sei zu spät … hab keine Angst. Wer wirklich liebt, schaut nicht auf die Uhr. Nur, dass du endlich angekommen bist.“
Einen Monat später kehrten die drei Geschwister zurück. Diesmal wurden sie nicht von Schuldgefühlen getrieben, sondern von etwas viel Tieferem: Verbundenheit.
Sie brachten ihre Kinder mit und zeigten ihnen den Garten, das Haus, den Sessel, das Taschentuch – alles, was sie in ihrem Leben verpasst hätten, wären sie nicht rechtzeitig zurückgekehrt.
„Sie war deine Urgroßmutter“, sagte Zsófi zu ihrer kleinen Tochter. „Sie war nicht berühmt, sie war nicht reich. Aber sie war der stärkste Mensch, den ich kannte.“
„Und sie wohnt jetzt hier?“, fragte die kleine Brigi.
Kata lächelte, kniete sich hin und strich dem kleinen Mädchen über das Haar.
„Jetzt ist es so. Es lebt hier in uns. Denn wenn man jemanden wirklich liebt … bleibt er für immer bei einem.“